Interview

Lepsien art Foundation, 2012 (Deutch version)

Cindy Tereba: Du bist in Sarajevo geboren. Wie lange hast du dort gelebt und wie haben die Erfahrungen dort dein Leben und deine kunstlerische Arbeit beeinflusst?
Damir Radovic: Ja, ich bin in Sarajevo geboren, wo ich bis 1992 gelebt habe, als der Krieg in Bosnien und Herze¬gowina ausbrach. Ein Jahr spater habe ich mich in Frank¬reich wiedergefunden, das Land, das mich irgendwie adoptiert hat. Mein Land und meine Geburtsstadt zu ver¬lassen hat tiefe Spuren bei mir hinterlassen und einen starken Einfluss auf meine kunstlerische Arbeit ausgelibt. All das bewirkt eine andere Sicht auf die Welt. Ich musste alles neu erlernen, sogar eine neue Sprache, neue Umgangsregeln, die Codes einer neuen Kultur und Gesell¬schaft, und vor allem eine neue Herangehensweise an zeitgenossische Kunst.
CT: Seit einigen Jahren lebst du in Frankreich. Durch das Stipendium der Lepsien Art Foundation hattest
du die Moglichkeit, tiefere Einblicke in die Kunst- und Kulturlandschaft in Deutschland zu erhalten. Wie haben diese Erfahrungen deine kfinstlerische Arbeit beeinflusst?
DR: Durch das Forderprogramm der Lepsien Art Foundation hatte ich die Moglichkeit, einige Monate in Deutschland zu leben und zu arbeiten und so die kultu¬rellen und kunstlerischen Unterschiede zwischen Frank¬reich und Deutschland zu vergleichen. Private Kulturforderung fur junge Kiinstler ist in Deutschland weitaus starker entwickelt als in Frankreich. Ich nehme an, dass der dezentralisierte Privatsektor seine Tore geoffnet hat fur private Kulturforderinitiativen. In dieser Hinsicht liegt Frankreich weit hinter Deutschland.
Ich lebe und arbeite in Lyon, aber zugleich reise ich viel mehr als fruher. Standig umherzureisen und neue Orte zu besuchen ist eine wichtige Inspirationsquelle fur meine Arbeit. In meinen Zeichnungen habe ich beispiels¬weise neben der franzosischen, englischen und bosni¬schen Sprache auch die deutsche integriert. Die Ideen tauchen voneinander unabhangig in verschiedenen Spra¬chen auf und bleiben dennoch stark verbunden. Ich sammle sie in meinem Umfeld und wahrend meiner Reisen.
CT: In deinen Arbeiten verwendest du verschiedene Materialien und setzt verschiedene Techniken em. Wie kommen diese Auswahl und deine Entscheidungen zustande und welche Bedeutung haben diese fur deine Arbeiten?
DR: Die Idee formt mein Projekt. Ich suche nach dem Material, das sich am besten fur die prazise Beschreibung meiner ‘dee eignet. Dabei spezialisiere ich mich bewusst nicht auf ein bestimmtes Medium, urn eine graere Frei¬heit im kUnstlerischen Ausdruck zu behalten. Diese Off nung bietet mir die Moglichkeit, verschiedene Medien zu kombinieren. Als Kunstler fordere ich dabei vollkom¬mene Raumfreiheit.
Die Idee des ,Karnevalesken` erscheint haufig in meinen Arbeiten, wie em n Wiederauftauchen einer unter¬drOckten Popularkultur.
„Karneval, definiert als Zeitraum, an dem sich die soziale Hierarchie umkehrt, zu Gunsten einer popularen Freiheit, die sowohl wertvoll als auch provisorisch ist. »
Vielleicht ist meine Arbeit die Aussage eines endgul¬tigen Bruchs mit dem einmaligen und unverwechselba¬ren Stil. In der Tat ist es, als lebten wir in einem Aufsatz von Guy Debord — „La Societe du Spectacle ».
CT: Einige deiner Arbeiten thematisieren Elemente von Kriegs- und Kampfszenen. In diesem Zusammen¬hang spielt offensichtlich das Thema ,Erinnerung` eine wichtige Rolle. Wie wiirdest du die Rolle von Erinnerun¬gen im Kontext deiner Arbeiten beschreiben?
DR: NatLirlich ist die Arbeit des Kiinstlers em n standiger Kampf, so auch die Erinnerung. Die Obertragung der Erinnerung ist sehr wichtig. Ich selbst nutze die kollek¬tive Erinnerung von Kino, Literatur, Geschichte und Geografie. Fur mich sind dies die Daten der Realitat und die Grundlage meiner Arbeit. Das Organisieren und Mischen dieser Daten hat zum einzigen Ziel, einen Moment neuer Wahrheit zu schaffen. Diese neuen Raume und Zeitlichkeiten zu bauen, kann interpretiert werden als Verlassen der Erde in ihrer Eigenschaft als Boden, Gewicht und als das Entdecken von Leichtigkeit als Experiment und Nomadentum, jenseits von Imma¬terialitat und Transparenz. Kunst hilft uns, die Welt um uns herum durch Erinnerung zu begreifen. Als Kiinstler mochte ich meine Ansichten und meine erfolglosen Versuche, die Gesellschaft, in der wir leben, zu verandern, ausdriicken. Personlich kann ich nicht das Geringste verandern, ich kann den Menschen nur eine kleine Dosis zynischen Humors mitgeben, wenn sich unsere Wege kreuzen. Da die Welt em n langweiliger Ort ist, bin ich nur einer von vielen Teilnehmern, mit meiner eigenen Auf¬fassung von Erleichterung in diesem Chaos. Architektur z. B. sollte als Entlastung der Zivilisation dienen und nicht als Trager einer schlechten Ideologie.
CT: Wie werden deine Arbeiten in deiner Heimat¬stadt Sarajevo wahrgenommen und reflektiert?
DR: Ich hoffe gut! Es obliegt den Menschen in Sarajevo, auf diese Frage zu antworten.

Lepsien art Foundation, 2012 (English version)

Cindy Tereba: You were born in Sarajevo, how long have you been living there and how did these experiences influence your live and work?
Damir Radovic: Yes, I was born in Sarajevo and lived there until 1992, when the war in Bosnia and Herze¬govina began. Since 1993 I’ve been in exile in France, the country that has somehow adopted me. Having to leave my country and my hometown, Sarajevo, under very difficult circumstances has left deep marks on me and had a strong impact and influence on my artwork. All that has given me a different worldview. I had to relearn everything — even a new language, new rules of conduct, the codes of a new culture and society, but I also gained a new approach toward contemporary art.
CT: You have been living in France for a few years. Through the grant program of the Lepsien Art Foun¬dation, you had the opportunity to gain deeper insight into the cultural environment of Germany. How did this influence your work?
DR: The Foundation program gave me the oppor¬tunity to live and work in Germany for several months. I therefore had a chance to compare some of the diffe¬rences between France and Germany, on the artistic as well as the cultural level. Private culture sponsoring for young artists is much more developed here in Germany than in France. I assume that the decentralized German public sector has opened up to private culture-spon
soring initiatives. In this respect, France is still way behind Germany.
I live and work in Lyon, but I also travel much more often than before. Constantly traveling around and being in new places is an important source of inspira¬tion for my artistic work. In my drawings, for example, I started integrating the German language, in addition to French, English, and Bosnian. The ideas emerge in different languages independently, but they neverthe¬less remain strongly connected. I collect them in my own environment and during my travels.
CT: You use different materials and techniques in your artworks. How do you select these materials, and what meaning do they have for your works?
DR: The idea forms the project. I then seek the best material to describe my thoughts accurately. I don’t specialize in only one medium, because I prefer to have more freedom of artistic expression. This openness allows me to combine different media. As an artist I demand complete freedom of scope.
The notion of the « carnivalesque » appears often in my work, perhaps as the reappearance of a repressed popular culture.
« The carnival, defined as the length of time in which the social hierarchy is reversed in favor of popular liberty, that is both valuable and provisional. »
Perhaps my work is the statement of a complete break with the unique style.
In fact, it is as if we lived in an essay by Guy Debord, « La Societe du Spectacle. »
CT: Some of your artworks depict war scenes and elements of battles. In this context the element of memory plays an integral role. How do you understand the role of memory in your work?
DR: The work of an artist is a constant battle and so is memory. I consider the transmission of memory to be very important. In my work, I often use the collective memory from cinema, literature, history, and geography. For me these are the real facts. This is the basis of my work. I mix and organize this data for the sole purpose of creating a new memory. Building these new spaces and temporalities can also be interpreted as leaving the land — in its significance as ground, as gravity — behind and discovering lightness, as an experiment as nomad¬ism, beyond immateriality and transparency. Art helps us to understand the world around us through memory.
As an artist I wish to express my opinions and unsuccessful attempts to change the society in which we live. Person¬ally, I cannot change anything. I can just give people a small dose of cynical humour when our paths cross.The world is a boring place to live and I am just one of many participants, with my personal conception of relief in this huge chaos. Architecture, for example, should be used as relief from the civilization, and not to defend a bad ideology.
CT: How have your artworks been perceived and reflected on in your hometown, Sarajevo?
DR: I hope well! It’s up to the people of Sarajevo to.